Letzte Aktualisierung am 2. Juni 2024 by Hans Blazejewski

Alte Männer haben keine Zukunft
Foto: © 2024 Hans Blazejewski- Lehrte

Reden wir über alte Männer

Lesen Sie meine Auseinandersetzung. Nein, nicht mit meinem sogenannten „Inneren Kind“, sondern mit dem, der mich jeden Tag aus meinem Spiegel ansieht. Ein alter Mann, der so schaut wie ich, wie einer der vielen alten Männer, die auf Rentnerbänken hocken und das Leben vorbeiziehen lassen. Wie von einer Filmrolle. Da sitzen sie, schauen sich an, was an ihnen vorüber geht. Das, zudem sie bald mit unumstößlicher Sicherheit, nicht mehr dazugehören werden und verstehen das Leben nicht mehr. Die aufgewachsen sind, sich herumgetrieben haben in einer vergangenen Zeit. Sie sind noch da, aber gehören nicht mehr zudem, was das Leben angeblich so lebenswert macht. Sie leben auf Abruf, in ihrem persönlichen Wartesaal, die Zukunftslosen, deren Gespräche sich zu oft um „Früher“ kreisen:

Früher war alles anders

Früher war alles besser. Ja, da haben wir die Sau rausgelassen. Auch die Mädchen waren… (dies oder das). Und was heute das Brot kostet! Solche Preise gab es zu meiner Zeit nicht. Kommen Ihnen solche Früher-Gespräche bekannt vor?

Stunde Null: Man kommt als Mensch auf die Welt, macht im Laufe der Zeit etwas aus seinem Leben oder auch nicht. Mit 100, plus minus einige Jahre, verschwindet man vom Erdboden. Paar Spuren im Sand: Fotos, ein Grabstein, Kinder. Das Übliche. Alte Männer wissen, wovon ich rede. Später, die ganzen Hinterlassenschaften, die oft nur noch idellen Wert haben, wandern auf den Boden oder auf dem Sperrmüll, wenn sie nicht ihr trauriges Ende in einer Flohmarktscheune finden.

Das Ende. Erst noch in weiter Ferne, aber dann schaut man eines Tages beim morgendlichen Zähnezeigen in den Spiegel, der dich begrüßt mit: Moin, alter Mann, oder Ähnlichem, das dich herunterzieht. Zack denkt du: Himmel, bin ich alt geworden! Jetzt beginnt in deiner Wahrnehmung die „Endzeit“ und die „Einschläge“ kommen immer näher, es zippt hier, es zwack da. Die körperlichen „Zipperlein“ treten immer häufiger in den Vordergrund. Patientenverfügung, Testament und andere „Endzeit-Überlegungen“ werden in Gedanken hin und her gewälzt: Wer kriegt was (wenn man was zu verteilen hat)? Die Ersatzteile, mit denen die Ärzte unser Leben erträglich machen, oder gar verlängern, werden immer mehr, als da sind Zahnersatz, neue Hüften, Herzkatheter und dergleichen mehr.

Der biologische Körper spielt nicht mehr mit

Aber oft fühlt sich der Geist alter Männer noch jung und fit, auch wenn sie nicht wissen, wer oder was ein „Digital Nativ“ ist. Nur – der biologische Körper spielt nicht mehr mit oder wenn, dann oft nur mit chemischer Unterstützung. Viagra, Medikamente für dies und jenes. Der ganze lebenserhaltende Zirkus.

Ein Zwiespalt zwischen Geist und Körper tut sich auf und du spürst, in vielen Lebensbereichen gehörst du nun zum Alt-Eisen. Rothaarige Schönheiten? Du nicht mehr. Nur noch im Museum. Disco? Wirst Du schon am Eingang abgewiesen, etwa mit: Opa, kannst du überhaupt noch tanzen? Abgesehen davon macht es auch keinen Spaß, wenn man ein Halbtauber ist.

Ich will das hier nicht weiter ausmalen. Da wäre ein breites Spektrum, über das man reden könnte/müsste. Wir lernen unser ganzes Leben, werden angeleitet von Eltern, Schulen, usw. Nur wie man mit dem alt werden/alt sein umgeht, das ist ein Tabu. Nicht sosehr in unserer Gesellschaft, wohl aber im familiären Umfeld.

Alt ist mega-out

Jung ist Trumpf. Alt ist mega-out, denn alte Männer sind von gestern. So gesehen hätte mein Ostpreußen Omchen heute keine Chance auf einen Auftritt auf einem Laufsteg. Aber was sie hatte, das war eine große Lebenserfahrung. Altersweisheit, wenn man will.

Und dann ist da noch die veröffentlichte Meinung, die manipulieren will, in Schubladen steckt, erklärt, wann man alt ist, oder die Alten mit altem Wein vergleicht. Man fasse sich an den Kopf. Und wenn du dann die von Google vorgezauberten Artikel siehst, dann denkst du manchmal: Da erklären Blinde die Goethe’sche Farbenlehre in oberlehrerhafter Manier, ohne viel Empathie.

Da lese ich doch lieber meine Hommage an Jacques Brel, der mich mit seinem Chanson „Les vieux“, einem Lied voller Melancholie und Tristesse, nachdenklich gemacht hat und Pate stand für meine Erzählung. Nachfolgender Link zu zwei KI generierten Übersetzungen:


Das Chanson über den letzten Lebensabschnitt zweier Menschen, die dem unabänderlichen Schicksal entgegen leben, berührt mich im Innersten. Macht mich still. Macht mich ratlos. Die Hoffnungslosigkeit ihres Restdaseins. Erst war ich nicht. Jetzt bin ich. Wo war ich vorher? Wer bin ich? Was wird sein? Warum lebe ich? Wozu lebe ich? Worin besteht der Sinn des Lebens?
Das kann sich doch nicht alles in ein Nichts auflösen. Das angehäufte Wissen. Wie eine Blähung, ffffttt. Für immer. Die gesammelten Erinnerungen. Das goldene Kalb. Am Ende die Leere. Man vergeht wie ein Furz im Winde. Ein kurzer Nachhall.
Versenkt von den Nachgebliebenen in ein War-da-was-Erinnerungsbergwerk.

Les vieux ne parlent plus ou alors seulement parfois du bout des yeux
Même riches ils sont pauvres, ils n’ont plus d’illusions et n’ont qu’un cœur pour deux

Für sie eine Leseprobe aus meiner Erzählung über alte Männer – aus dem Buch Zeitbrücke

Alte Männer träumen nicht, nicht mehr. Sie warten. Sie sitzen ihre Zeit ab, die ihnen entrinnt, entrinnt im Mahlstrom des Lebens, aus den Händen fließt. Die Zeit, die nicht stillsteht. Die Zeit, die man nicht festhalten kann, die immer schneller wird, schneller und schneller. Die Zeit, die ihnen davonläuft.
Wenn alte Männer doch mal träumen, dann träumen sie davon, wie es einmal war. Oder sie träumen von diesem und jenem Traum. So, wie etwa einer sagt: Ich hatte einst ein schönes Vaterland. Oder sagt: Ich hatte einst ein schönes Mutterland. Die Träume, von denen sie träumen, heißen: Vielleicht. Sie heißen: Das wollte ich immer mal machen. Da sind Fragezeichen, die heißen: Warum habe ich das nur nicht getan. Die heißen: Warum konnte ich das nicht. Die heißen: Wie ist das alles passiert und warum immer ich.

Ein Baum im Wartesaal, so alt wie ein alter Mann
Foto 2024 © Hans Blazejewski – Lehrte


Alte Männer träumen nicht, nicht mehr. Sie warten und warten und warten. Sie haben vor langer Zeit vergessen, wie man lebt. Sie wohnen in ihrem persönlichen Wartesaal. Schauen sich um und fragen sich, wo die ach du liebe Zeit nur geblieben sei.
Da steht ein Baum in einem Wartesaal. Ein Baum, der so alt ist wie ein alter Mann. Der steht da in diesem Wartesaal, in diesem Wartesaal, in dem es nach altem Mann riecht und nach Vergangenheit.
Ein alter Mannbaum der Erinnerung steht da. Vollbehangen mit Weißt-du-noch-damals-Dingen, mit gestorbenen Träumen, mit versäumten Gelegenheiten. Die heißen: Morgen, morgen mach ich was. Die heißen Zaghaft oder Mutlos. Da hängen die ausgeträumten Träume, von denen der alte Mann die Namen vergessen hat. Und die Zeit ist darüber hinweggegangen, hat sie verblassen lassen.
(…)

Lesetipp – versäumen Sie nicht meine
Gruselgeschichten, erzählt am Jenseitslagerfeuer meiner Ahnen: In der Nacht der Steinkauz rief


Kommentare

Eine Antwort zu „Alte Männer haben keine Zukunft“

  1. … aus meiner Sicht, als alte Frau… sehe ich das so:

    Das Thema Alt werden ist so facettenreich, dass es unmöglich ist, es auf den Punkt zu bringen, denn jeder Mensch durchlebt es auf ganz persönliche Art. Das Altwerden kriecht in einen hinein, ob man will oder nicht. Man muss sich dem fügen, denn die Natur ist einfach stärker. 
    Als Frau begann bei mir dieser kriechende Prozess, als ich so um die 75 wurde. Grob gesagt und zu einer Essenz gebracht ist das Altwerden, die letzte Phase des Lebens, in der man körperlich schrumpft, Kraft verliert und sich bewusst wird, dass das Ende unausweichlich ist. Und das gilt für Männlein wie auch Weiblein. 
    Da gibt es so ein bekanntes Lied von Max Raabe, das mit zwei markanten Sätzen beginnt: „Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich…“ – Für mein persönliches Empfinden würde ich das „ruft“ in „guckt“ ändern, denn mit dem Alt-Werden merkte ich, dass ich als Frau durchsichtig wurde. Ich fragte mich und frage mich noch: Bin ich eigentlich noch vorhanden?
    Gemäß der heute geltenden Skala für Attraktivität und Schönheit, was für eine Frau schon nicht ganz unwichtig ist, rutsche ich als alte Frau mit der schlaffer werdenden Haut, den Ziehharmonika-Falten und den weißen Haaren auf der Skala zur Null hin. Leider unterstützen einige Männer diesen Nullstatus, indem sie sich einfach eine neue Frau holen, die wieder frisch und knackig ist. – Dass der Mann selber auch zum Null-Status gehört, spielt komischerweise keine Rolle, die Knackige nimmt ihn trotzdem. Pech für die alte Frau. 
    Im Alter rutscht das Thema Schönheit und Attraktivität voll ins Abseits, und stattdessen erblüht zur vollen Pracht das Thema Krankheit. Kaum eine Unterhaltung unter älteren Menschen, in der die Zipperlein nicht ausgetauscht werden. Und wenn aus den Zipperlein ernste Krankheiten werden, werden die Unterhaltungen wortkarger, bis sie ganz verstummen.
    Außerdem ist mir aufgefallen, dass meine Gedanken mehr und mehr in Erinnerungen schwelgen und ich mich oft in einem Meer an Fotos und Alben um mich herum verliere. Viele Selbstgespräche entstehen daraus und ich höre mich mit mir selbst plaudernd über die schönen, alten Zeiten. Alles war schöner, früher. Zumindest für mich. „Alt-Werden ist doof“, sagte meine Mutter einmal und ich ging damals nicht direkt darauf ein, weil ich es zu dem Zeitpunkt noch nicht nachfühlen konnte, aber jetzt schon. Jetzt kann ich es bestätigen. 
    Man spielt im Karussell des Lebens einfach nicht mehr mit. Bekam man als junge Frau noch hier und da ein Kompliment, einen interessierten Blick, so ist man jetzt froh, wenn man überhaupt wahrgenommen wird. Man schaut in den Spiegel und erkennt, dass der Zahn der Zeit ordentlich an einem knabbert. Da nützen die heutzutage hochgejubelten Cremes, Silikonfüllungen und Straffungen gar nichts. Man sieht trotzdem alt aus. Dieses verzweifelte sich auf jung trimmende Gespritze ist im Alter eher lächerlich und so manche werden dabei regelrecht zu Monstern. Manchmal frage ich mich: Merken sie das nicht? Da stehe ich lieber voll hinter meinen äußerlichen Veränderungen und bleibe ich selbst. Alt, aber ehrlich. 
    Die Zukunft steht wackelig auf den Beinen, weil man nicht weiß, wie lange noch? Das ist wahrlich ein sehr bedrückendes Gefühl. Man kann es drehen und wenden, das Unausweichliche kommt von Tag zu Tag näher, und man kann nur versuchen, das Beste daraus zu machen. Jeden Tag leben, und dies möglichst mit einer positiven Einstellung, denn die Macht der Gedanken ist groß. Auch wenn ich inzwischen durchsichtig bin, so bin ich dennoch für mich noch da. Als alte Frau spiele ich zwar keine große Rolle mehr, aber ich brauche auch keine Rolle mehr, denn ich habe alle abgespielt, ausgekostet, genossen, durchlebt. – Nun führt alles nur noch zu einem Zeitpunkt, den man nicht kennt, der aber gewiss ist.

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