Letzte Aktualisierung am 23. Juni 2024 by Hans Blazejewski

Albträume im Rem-Schlaf
Collage © Hans Blazejewski – Lehrte

Oh Warmia, sprich zu mir.
Erzähle von der Zeit, da Ur und Bär durch deine Wälder streiften, als deine Bewohner, die wir Pruzzen nennen, über deine Äcker und Wiesen herrschten, sie Nahrung von dir nahmen. Wie sie lachten, liebten, weinten. Wie sie glücklich lebten, sich schlugen und stritten, sich wechselseitig Böses taten, sich vertrugen, oder auch nicht. Sie waren Menschen, wie wir, nicht wahr?

Erzähl vom Sterben deines Volkes, von seinem Leiden, von seinem Untergang. Sag, was ist geblieben? Da ist kein Nachhall in unseren Herzen. Da ist kein Ruhmestempel errichtet. Da ist kein Stein, der Kunde gibt von seinem Dasein. Die Eindringlinge leisteten ganze Arbeit. Nicht wahr?

Hörst du die Schreie der sterbenden Kinder, der Frauen und Greise? Siehst du die blutgeröteten Ströme, ihre brennenden Dörfer. Sieh wie ihre Ernten verbrennen. Vernimmst auch du das Kriegsgeschrei, das Waffengeklirr?
Ich sehe in Erz erstarrte Männer auf Streitrössern, umgeben von waffentragendem Fußvolk über die Ebene kommen. In feierlicher Prozession und unter Betgesängen tragen Mönche das Kreuz der Nächstenliebe zum nahen Ufer. Sie richten es auf, umtürmen es mit einem Haufen Holzscheite.

Der Krieve, der Krieve! Sie schlugen ihn ans Holz.

Gespenstische Gesichter umringen im Fackelschein den Ort der christlichen Untat. In feierlicher Prozession umrunden Kapuzenträger den Schandpfahl der Menschlichkeit.
Ein schriller Schrei erhebt sich gebieterisch über die kriegerische Menge, sofortige Ruhe erheischend. Aus deren Mitte trabt ein Ritter zum Kreuz. Der redet mit befehlsgewohnter Stimme: Brennt ihm die Füße. Zwei Mönche zu beiden Seiten des Galgens senken ihre Fackeln. Sie halten das Feuer unter die Fußsohlen ihres Opfers.

Donnerer! Steig herab, laß fahren deinen Zorn in sie. Donnerer! Schlag ihnen dein Grollen in ihre erzernen Leiber. Mächtiger! Laß deine Blitze sie zu Asche werden.

Erneuter Gesang. Der wird lauter und lauter. Fackelträger umringen in dichten Reihen das Kreuz mit dem pruzzischen Leidensmann. Es reißt der Ritter den rechten Arm in die Höhe. Ein blankes Schwert in der panzerbewehrten Faust. In der anderen trägt er ein Schild mit einem schwarzen Kreuz auf weißem Grund. Der wendet er sich dem Gekreuzigten zu und spricht mit leiser Stimme:
Noch vermögen wir dich zu retten. Schwör ab. Ruf es laut, damit deine Leute es verstehen können.
Der Krieve hebt langsam sein von Hieben geschundenes Haupt. Er schaut den Ritter an, bevor er ihm ins Gesicht speit. In die entstandene Stille hinein befiehlt der Schwertträger mit kalter Stimme: Verbrennt den Heiden!

Eine gebeugte Gestalt tritt hinzu, auf dem Haupt eine hohe, spitze Mütze. Mühsam hält sich der Bischof an seinem Krummstab aufrecht. Ein Kapuzenträger reicht ihm eine Fackel. Er wendet sich den herbeigelaufenen Menschen auf der anderen Seite des Flusse zu, zeigt ihnen, wie zum höhnischen Gruß, seine Brandfackel, bevor er diese in den Scheiterhaufen wirft. Jetzt geht er einige Schritte zurück. Jetzt erhebt er seine Hände gen Himmel. Jetzt ruft er mit verzücktem Gesicht: Ave Maria gracia plena.

Hoch auf lodert das Feuer. Der Krieve schaut unverwandt zum jenseitigen Ufer. Dort steht eine unübersehbare Schar der Landesbewohner. Die schauen mit Entsetzen auf den Ort der Hinrichtung. Mit harten Griffen drehen Mütter die Köpfe ihrer Kinder so, daß ihnen der grauenerregende Anblick nicht erspart bleibt.
Dichter Rauch verbirgt den geschundenen Körper des Gekreuzigten, steigt empor, verharrt einen Augenblick über der Versammlung, fällt herab auf die reglos verharrenden Waffenbrüder. Keiner erkennt mehr den anderen. Voller Entsetzen greifen die christlichen Mordbrenner zu ihren Waffen.

Aus dem Rauch höre ich Gesang in einer fremden Sprache, in den die am jenseitigen Ufer stehenden einfallen. Die Stimme des Krieve wird schwächer und schwächer. Dann verstummt sie.
Aus der entstandenen Stille heraus erhebt sich ein unheimlicher Sturm. Aus tiefhängenden dunklen Wolken fahren grelle Blitze in zahlloser Zahl zur Erde. Das Aufzischen der Einschläge vermischt sich mit nie gehörter Donnergewalt. Das Erdreich bebt, zittert. Der Strom brodelt. Es scheint als ob seine Wellen über die Ufer treten wollen, um die Mörder zu verschlingen.

Ein Aufschrei aus vielfacher Kehle verfolgt die mit Angst und Entsetzen erfüllte Kriegerschar. In zügelloser Unordung verlassen die christlichen Mordbrenner den Ort ihrer Untat, Zuflucht suchend in ihrer Burg auf der fernen Anhöhe.

Wer seinen Blick zurückwendet, der sieht am jenseitigen Ufer, vor den Reihen der Landesbewohner, einen blonden Knaben. Der hält eine Stange in die Höhe, auf deren Spitze sich der Kopf eines frisch geschlachteten Ziegenbocks befindet. In der erhobenen, wie zum Stoße bereiten, rechten Hand des Knaben sehe ich ein bluttriefendes Messer.

Sag, Warmia, hab ich das nur geträumt?


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