Schuldig oder Unschuldig?

Lesen Sie hier die Fakten über einen angeblichen Badewannenmord anhand einer Leseprobe aus dem Buch „Zeitbrücke – Geschichten zwischen Damals und Heute“, mit dem Titel: Der Badewannenmörder. Bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil.

Uczyniła ją martwą! Uczynił ją martwą – er hat sie totgemacht! Er hat sie totgemacht, schrie Pani Bratwurstorowa, während sie mit dem polnischen Bildzeitungs-Pendant, der FAKT, die Dorfstraße rauf und runter lief. Sie zeigte jedem, der es wissen wollte, oder auch nicht, das Bild vom Badewannenmörder. Setzte ihre Brille auf, die keine Bügel mehr hatte, dafür aber Gummiringe. Solche, die man auch zum Einkochen nahm und zwischen Glas und den Deckel legte. Diese Gummiringe hatte sie mit Schlaufen über ihre Ohren gespannt und so für den nötigen Halt ihrer Brille gesorgt. Und dann hat sie aus der FAKT vorgelesen. Aber vorher, bevor sie auf die Straße ging, hat sie noch, die auf Dornensträucher aufgespießten, gewaschenen Hemden sowie ihre „Unaussprechlichen“, in Sicherheit gebracht. Man kann nie wissen, wann es regnen wird oder ob wer …

Sie war rein wie bedeiwelt, so als würde sie den Badewannenmörder persönlich kennen. Ja, als wäre er ein Verwandter ihrer weitverzweigten Sippschaft, von denen einige schon seit Generationen, mindestens seit vor 1900, im Ruhrgebiet in den Pütt gingen. Andere aus der Verwandtschaft dagegen machten rüber nach Amerika oder Australien und sind dort angeblich reich geworden, sofern man ihren diesbezüglichen Hinweisen in den Briefen, die von dort kamen, Glauben schenken will.

Die aus dem Reich kamen

Zu Weihnachten oder zu Ostern kamen die aus dem Reich. Besuch machen in der kalten Heimat. Für einige Tagen waren sie das Gesprächsthema in dem kleinen Dörfchen an der Grenze zu den Masuren und erregten Aufmerksamkeit, nicht zuletzt, weil die Kinder, der jetzt deutschen Polen, die polnischen Kinder nicht verstanden und die sich zuweilen mit den Dorfkindern so lange prügelten, bis die Erwachsenen dem ein Ende machten.

Ihre Autos stellten sie an der Straße ab und nicht auf dem Hof hinterm Wohnhaus, wo keiner sie sehen konnte, ihre chromblitzenden und lackpolierten Fortbewegungsmittel. Polski-Fiat oder gar Lada? Oder die Rennpappe aus dem Arbeiter-und-Bauern-Staat? Sie lachten nur höhnisch, wenn man sie danach befragte.

Die Sippschaft „aus dem Reich“ schüttelten ihre Köpfe über die „polnische Wirtschaft“ und sagten mit leicht blasiertem Tonfall: Ihr habt ja immer noch kein fließend Wasser nich und der Pinkeleimer im Flur, friert der noch immer im Winter zu? Sowas gibt es bei uns schon lange nicht mehr. Und Goldeimer? Erbarmung. Ach du liebes Herrgottchen. Kein Wunder, dass ihr nich auf die Beine kommt.

Willst Kawa? Dann bring

Manchmal saßen sie in der Mittagssonne auf der Holzbank am Haus. Und wenn welche vorbeikamen, die wurde unter Gelächter mit: „Willst Kawa? Dann bring“, herbeigerufen.
Am Abend, unten am See, an ihrem Feuerplatz, aßen sie gegrillte Kiełbasa żywiecka, die echte aus Schlesien, und tranken Polskie Piwo, also polnisches Bier, und später Wodka aus hohen Wassergläsern. Dazu nahmen sie Maränen in Öl. Direkt aus der Hand. Aber den Wodka nur zur Mückenabwehr, wie sie sich gegenseitig versicherten.

Schwimmweste - ersetzt durch einen aufgepumpten Fahradschlauch
Foto: © 2005 Hans Blazejewski. Lehrte

Polnische Schwimmwesten, aber praktisch

Den Kindern, die noch nicht schwimmen konnten, wickelten sie aufgepumpte Fahrradschläuche um die Körper. Polnische Schwimmwesten, wenn man so will. Jedenfalls ist keines der Kinder untergegangen. Ich war dabei. Ich habe das gesehen, das mit den Fahrrad­-Schlauchschwimmwesten. Ich schwöre.

Und als es Zeit war für die Rückfahrt »ins Reich«, da ließen sie sich zum Abschied einige Gläser Eingemachtes »aufdrängen«. Etwa Aal in Aspik oder sauer eingelegte kurki, was sind Pfifferlinge, und sagten, wenn du gibst, dann nehmen wir eben auch paar Gläschen Steinpilze, aber nur, wenn ihr habt. Gern auch die Salzgurken, die ogorki kiszone, aus eigenem Anbau. Gurken, bei deren Anblick, man den Geschmack schon auf der Zunge zu spüren glaubte, wie sie da so schön grün, mit Knoblauch, Meerrettich und all den anderen Zutaten, im Glas standen.

Nicht zu vergessen den miodówka, den vom vorvorletzten Jahr. Gut abgelagert, aus Wodka und Buchweizenhonig oder statt Wodka, aus 95%igem spirytus z apteki. Wenn spirytus, dann aber halbe-halbe mit Wasser verdünnt, als Schutz vorm Blindwerden. Früher haben wir noch für unseren miodówka selbstgebrannten Kartoffelschnaps genommen, erzählten sie sich. Machten ja alle. Aber war schon gefährlich, war das, obwohl der Dorfgendarm mit am Tisch huckte.


Für die Babka, die die weite Fahrt von Gelsenkirchen ins Masurische nicht mehr auf sich nehmen wollte, für die gaben die Gastgeber einige Gläser Linden- und Buchweizenhonig mit auf den Weg, gaben auch eine Schmeckprobe vom neuen Löwenzahnhonig dazu. Honig von eigenen Bienenstöcken, die schon immer, so weit man zurückdenken konnte, am Waldrand hinterm Hof standen.

Bei der Abreise riefen sie, schon im Fahren: »War doch ganz schön, mal wieder in der Heimat zu sein.« Und dann fuhren die Deutschpolen aus ihrer kalten in ihre neue Heimat, dorthin, wo es angeblich keine Pinkeleimer auf dem Flur oder Goldeimer auf halber Treppe gab, wohl aber Verbotsschilder jeder Art.

Der Badewannenmörder in der Kaluse

Nachdem wir den Verwandtenbesuch gehörig gewürdigt haben, wollen wir uns wieder Pani Bratwurstorowa zuwenden. Sie ruft noch immer, wie schon nach seiner Verurteilung, als das in der Zeitung stand: »Teraz go mają, teraz go mają! – Jetzt haben sie ihn«, obwohl sie ihn freigesprochen hatten, diesen angeblichen Badewannenmörder, nachdem er dreizehn Jahre unschuldig in der Kaluse[1]  brummen musste.
(…)


 [1]Johannes Bobrowski, Erläuterung zu Levins Mühle in https://literaturkritik.de/id/21750 : Kaluse“, der Knast also, oder die „Kabise“, eher ein Schuppen als ein Haus.


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Wenn Sie mehr über Hans Blazejewski, den Autor, lesen möchten und darüber, wie es dem Badewannenmörder ergangen ist, dann schauen Sie doch in sein neues Buch. Spannende Geschichten zwischen Damals und Heute. Ich kenne es. Sehr zu empfehlen, z. B. zum Verschenken.

Mein Autorentipp
Ermland, ein Besuch – Unvergessliche Eindrücke aus dem Land meiner Ahnen

Zeitbrücke – Geschichten zwischen Damals und Heute
ISBN: 9783758373909
Paperback – 230 Seiten
Verlag: Books on Demand


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