Bahnhof Kobulty in Polen

Der Bahnhof – über eine Zeitbrücke in die Vergangenheit

Letzte Aktualisierung am 11. Oktober 2024 by Hans Blazejewski

Bahnhof Kobulty in Polen
Foto © 2007 Hans Blazejewski – Lehrte

Eine Zeitreise zu einem Bahnhof im Ermland

Der Bahnhof, eine Erzählung aus dem Buch: Zeitbrücke – Geschichten zwischen Damals und Heute.

Hier geht es um einen Bahnhofsvorsteher, der heimlich von einer Kinderbande „Pustekuchen“ genannt wird. Heimwehtouristen stehen in der Jetztzeit am Bahnhof. Tante Klara läuft zu der Stelle, an der sie auf der Flucht das Silberbesteck (noch von der Oma) vergessen hat. Aber sie weiss schon, dass der Russe das eingesackt hat. Ein Kind mit Namen Eberhardt wird in Schweineweich umgetauft.
Ich verrate es: Die Geschichte geht gut aus. „Pustekuchen“ und das ganze Dorf tanzen bei einem Versöhnungstreffen auf dem Bahnhofsvorplatz, zu dem die Bande Kuchen backen musste. Und was sonst noch dort geschah? Lassen Sie sich überraschen.

Für Sie eine Leseprobe zur Einstimmung.

Man stelle sich in Stara Twarzyczka, was ist Alt Gesichtchen, mit dem Rücken zur Kirchhofsmauer. Genauer, mit dem Rücken zum Langschiff der hinter der besagten Mauer befindlichen Kirche aus rotem Backstein. Dann geht man etwa eintausendzweihundert Meterchen immer gerade aus. Querbeet, da ist es etwa dreihundert Meter näher. Geht sich aber nicht so gut. Mit Schrankkoffer oder Eierlischken geht man besser gerade aus, wenn man sich vorher, wie schon erwähnt, mit dem Rücken zur Kirche. Man kommt aber auch zum Bahnhof, wenn man nicht mit der Kirche im Rücken beginnt. Das wollen wir nur für die ungläubigen Leser unter uns erwähnen.

Das kleinste gemeinsame Vielfache

Wer eine Schrittlänge von einem Meter hat, mit dem rechten Fuß zuerst beginnt, der stellt sechshundertmal den Rechten vor den Linken. Mit dem zweiten Fuß, diesmal dem linken, macht er es genauso, nur wird dann der linke vor den rechten Fuß gestellt. Auch sechshundertmal. Im Wechsel, also mal rechts mal links. Wir sagen das nur so. Für die Genauwisser. Große Leute, vielleicht die mit 1,50 Meter Schrittmaß, sind da im Vorteil, obwohl sich die Strecke gleich lang bleibt. Wir lassen diese Behauptung im Raum stehen. Wer in der Schule nicht aufgepasst hat, der kann ja nachmessen. Wären wir, zum Beispiel Lehrer der höheren Mathematik auf dem Weg zum Gymnasium in der nächstgelegenen Stadt, sagen wir, Malutkie Śliwki, was kleine Pflaume heißt, so könnte man um 7.08 Uhr in Stara Twarzyczka in den Zug steigen und wären um 7.29 in Malutkie Śliwki. Da trifft es sich gut, dass uns noch zwei Fahrschüler mit Schrittlängen von vierundsechzig und sechsundsiebzig Zentimetern begleiten. Von denen lassen wir uns dann berechnen, wo und wie oft wir zur selben Zeit mit dem linken Bein auftreten. Wir beginnen gleichzeitig, wieder mit dem rechten Fuß zuerst, bei gleicher Geschwindigkeit. Haben Sie es? Mein Tipp: Das kleinste gemeinsame Vielfache.

Kein Wegweiser zum Bahnhof

Nach eintausendzweihundert Metern, gleich hinter dem Abbau auf der rechten Seite, da muss man einen Schwenk nach rechts machen. Verpasst man den, dann ist man schon zu weit. Dann hat man schon die Bahngleise überschritten. Also etwa dreißig Schritt rückwärts. Dann der Schwenk. Wer sich umdreht und so zurück geht, wie er es sonst vorwärtsgehend macht, der muss dann seinen Schwenk nach links ausführen, sonst kommt er nicht an. Jetzt noch dreihundert Meter zum Bahnhof.
Ich schreib das hier nur so ausführlich, weil es in Stara Twarzyczka keinen Wegweiser zum Bahnhof nicht gibt und auch, damit sich keiner nicht möchte verlaufen. Schild muss nicht sein, denken sich die Einheimischen, die sowieso wissen, wo er steht, ihr Bahnhof.

Meecht sein, so ein Holzschildchen hat gestanden. So ein scheenes Holztafelchen auf dem in schwarzer Ölfarbe auf weißem Grund man hat lesen können: Zum Bahnhof Stara Twarzyczka 1200 m. Wird sich vielleicht einer für seinen Donnerbalken geholt haben. Meecht sein, er hat dort das Schildchen studieren wollen. Weiß man nicht mehr.
Und Zugereiste, die meecht man auch nicht kennen. Das ist so. Das hat nichts damit zu tun, dass wir uns schon in den Masuren befinden. Das nicht. Zugereiste kamen damals überall kurz vor den Juden, den Zigeunern und den Polen. Sofern man welche hatte. Wenn sie polnisch waren, die Zugereisten, dann waren sie das Letzte, wenn man sie nicht grade als Erntehelfer zur Spargel- oder Gurkenernte im Reich, oder anderswo, brauchte. Obwohl, das war ja dann auch bald vorbei, nachdem man sie zur Sklavenarbeit ins Reich brachte. Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln war denen verboten. Auch nicht in der Holzklasse. Auch das Benutzen von Fahrrädern war ihnen nicht gestattet. Höchstens in Güterwagen durften sie stehen oder liegen. Aber dann fuhren sie zu Endzielen, die sie sich nicht aussuchen konnten. Und das mit dem Zigeunerleben und dem faria ho war bald auch nicht mehr lustig. Ganz und gar nicht. Damals, beim großen arischen Kehraus. Und ebenso den vielen Israels und Saras, denen blieb das Lachen im Halse stecken, bevor es ihnen erstarb.

Sympathisch dagegen die, wo nur durchreisen. Sind wie Oma Kulbatzkis Weißkohlblähungen. Erst leises, dann anschwellendes Gegrummel, dann rumms, und schon vorbei. …


Und dann ist da der Neue,
der Eberhardt, alias Schweineweich, der zwei Mutproben zu bestehen hatte. Es geht um eine Fliege aus dem Kuhstall.

Wir sagten ihm, er solle seine Zunge herausstrecken und sich dabei nicht bewegen. Würde sich eine Fliege darauf niederlassen, dann müsse er die Fliege hinunterschlucken. Da stand er dann stocksteif, aber keine Fliege nicht wollte sich schlucken lassen. Daraufhin haben wir ihm Honig auf die ausgestreckte Zunge geschmiert und eine Fliege dran geklebt. Hat sie gesurrt und gesurrt. Hat er geschluckt und geschluckt. Meecht man nicht glauben.

Später dann Schweineweichs Aufführung am Fahrkartenschalter, die ein krachendes Nachspiel zur Folge hatte. Aber mehr über das, was sonst noch an diesem Bahnhof geschah, können Sie in meiner „Zeitbrücke“ lesen. Ein Buch, das Sie gern in die Hand nehmen werden – oder verschenken möchten – oder beides. 🙂


Mein Tipp: Lesen Sie „Mein erster Besuch“ im Land meiner Ahnen. Unvergessliche Eindrücke erwarten Sie.

Zeitbrücke – Geschichten zwischen Damals und Heute
ISBN: 9783758373909
Paperback – 230 Seiten