Letzte Aktualisierung am 29. Oktober 2024 by Hans Blazejewski
Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgendein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.
O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum
uns am Angesicht zehrt —, wem bliebe sie nicht, die ersehnte,
sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen
mühsam bevorsteht. Ist sie den Liebenden leichter?
Ach, sie verdecken sich nur miteinander ihr Los.
Weißt du’s noch nicht? Wirf aus den Armen die Leere
zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel
die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug.
R.M. Rilke: Duineser Elegien – Erste Strophe (1923)
„Deutschladfunk Kultur“ beschäftigt sich in einem Podcast mit Rainer Maria Rilke. Titel: Ein nameloser Sturm, ein Orkan im Geist.
Er beginnt mit diesem Vorspann:
Rainer Maria Rilkes „Duineser Elegien“ sind geprägt von den Brüchen der Moderne und den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs. Wie lesen wir dieses Werk heute, hundert Jahre nach dem Erscheinen? In einer Zeit, in der wir wieder mit einem Krieg konfrontiert sind?
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Eine meiner Lieblingsseiten im WEB ist die von Dr. Johannes Heiner, der u. a. auch für die „Literaturzeitung Online“ verantwortlich zeichnet. Dort finden Sie mehr über Rilke und Rilke-Hintergründe, aber nicht nur. Von Hilde Domin und Rose Ausländer habe ich dort erstmals Kenntnis erhalten.
Wollen Sie vorbeischauen? http://www.lyrikrilke.de
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