Letzte Aktualisierung am 17. Juni 2024 by Hans Blazejewski
Foto © 2005 Hans Blazejewski
Lesen Sie über meinen ersten Ermland-Besuch in der Heimat meiner Ahnen
Das war wohl irgendwo zwischen 1970 und 1980. Nein, nicht mit Pferd und Wagen, wie das obige Bild suggeriert, sondern mit dem PKW.
Genau weiß ich das nicht mehr. Jedenfalls brauchte man ein Visum, zwei 20-Liter Ersatzkanister mit Benzin, einige Pfund Kaffee, Schokolade und ganz viel Geduld. Nicht nur, dass der Grenzübergang in Frankfurt/Oder des Nachts geschlossen war, auch unsere uniformierten Brüder und Schwestern in der SBZ, der sogenannten „Sowjetischen Besatzung-Zone“, hatten lebhaften Anteil an meiner Reise. Das habe ich bis heute nicht verstanden, das, obwohl man nur noch wenige Meter brauchte, um die DDR zu verlassen, dass das ganze Auto von uniformierten DDRlern „auseinandergenommen“ wurde. Einschließlich durchleuchten von zwei Kartons mit Waschpulver. Fehlte nur noch, dass sie mir das Waschpulver lose zurückgegeben hätten. Dabei wollte ich nur ins Ermland. Die Heimat meiner Ahnen in mich aufnehmen.
Das kann man sich heute gar nicht mehr ausdenken: Nachts haben sie an der Grenze die Schranken nicht aufgemacht. Folge: Die Autoschlange reichte bis weit hinter die Stadtbrücke von Frankfurt/Oder.
An der polnischen Granica ging es besser. Man hatte auf seinen Pass zu warten. Irgendwann rief jemand durch ein Fenster einen Namen in meine Richtung, der so ähnlich Klang wie der meinige. Nach mehrmaligem Rufen hatte ich es kapiert. Gehe ans Zöllner-Häuschen. Grinst mich der Polsche an und sagt: Pan Błażejewski, warum nicht kommen, wenn rufen. Sag’ ich, aber sie haben mich doch gar nicht gerufen. Doch sagt er, zeigt mir meinen Pass, zeigt auf mein Bild und sagt: da! Sie! Ja schon erwidere ich, aber ich heiße Blazejewski und sie haben Błażejewski gerufen.
Beide haben wir gelacht und ich bin sicher, wenn das Gespräch in einer Kneipe stattgefunden hätte, wir hätten uns bestens verstanden und einen privaten deutsch-polnischen Freundschaftsvertrag geschlossen.
Der Unterschied zwischen lesen und fühlen
Dicht hinter der Grenze standen dann die polnischen Kinder, hielten die Hände auf und fragten nach Zigaretten, Schokolade und D-Mark.
Und als ich dann Kilometer um Kilometer durch Orte und Städte fuhr, die ehemals deutsch gewesen waren, überkam mich ein Jammer, als ob das ganze kollektive Elend in meinem Auto Platz genommen hatte. Ich dachte immer nur: Wo sind sie alle abgeblieben, die deutschen Bewohner, die einst hier gelebt hatten?
Zu Hause zu hören und zu lesen, dass diese Gegend mal zum Deutschen Reich gehörte und die Menschen von dort geflüchtet waren oder vertrieben wurden, das war eine ziemlich emotionslose Sache. Diese erste Fahrt ging mir ans Gemüt und noch heute nach mehr als 40 Jahren ist diese meine Erfahrung ganz präsent.
Ich erinnere mich an einen Besuch in Uniszewo. Das ist ein Ort im Ermland. Dort gab es einen K. einen einbeinigen Reichsdeutschen, der gegenüber einem See wohnte, der von einer Kolchose befischt/bewirtschaftet wurde. Nicht nur mit Angel und Netzen, manchmal auch des Nachts mit Handgranaten.
Der Mann hatte unzählige Bienenstöcke hinter seiner halbverfallenen chałupka. Im Vorratsraum standen neben vielen anderen Gläsern, so 30 Gläser Aal in Gelee. Hatte er selbst gefangen die Aale, sagte er augenzwinkernd. Nun wollte ich gern ein Glas von ihm erwerben. Leider weiß ich bis heute nicht, wie sein Aal in Gelee geschmeckt hätte, denn er gab keine her. Er sagte nur: Willst du Aal in Gelee, musst du geben Wodka. Wodka hatte ich bedauerlicherweise nicht, aber D-Mark und Kaffee.
Er blieb bei seinem: Willst Du Aal in Gelee, musst du geben Wodka. Und da war der ehemalige Reichsdeutsche, nun aber ein Polnischer. Er nahm mich mit zu einem Besuch beim Förster. Zwei Stunden stramm zu Fuß. Dort haben der Johann und der Förster, über den Einschlag von Bauholz verhandelt, nach alter Sitte, also Wodka im Glas und Maränen (in Öl) auf der Hand.
Wie wir dann zurückfanden, das ist mir entfallen.
Im selben Ort wohnte auch Norbert, Sohn einer reichsdeutschen Familie. Taxifahrer in Olsztyn.
A. meine Freundin, die wollte in Olsztyn zum Cepelia, einkaufen (ein Browser kann Ihnen diese polnische Seite in Ihre Sprache übersetzen).
Damals gab es noch kein Internet und folglich auch keinen Online-Shop, so wie heute.
Also fragt sie Norbert in bestem Deutsch. Norbert, bist du so nett und fährst uns mit deinem Auto nach Allenstein? Norbert, mit der deutschen Sprache nur rudimentär vertraut verstand nichts. A. wieder: Norbert bist du….
Nationalgefimmel, der Sargnagel des friedlichen Nebeneinander
Dann habe ich es versucht mit: Norbert, brumm, brumm, Olsztyn. Paar Minuten später fuhren wir über Szabruk Richtung Olsztyn. Ach haben wir gelacht.
Alles in allem hatte ich eine schöne Zeit dort, wo Deutsche und Polen nebeneinander, miteinander und manchmal auch übereinander lebten. Damals, bevor das mit dem Nationalgefimmel anfing. Wo jeder jeden kannte. Jeder jeden verstand, weil nahezu zweisprachig aufgewachsen, bevor der sogenannte Deutsche Nationalismus salonfähig wurde. Andersdenkende oder fremdsprachige Menschen sah man nun als Feinde an. Erst noch sehr verhalten, aber wo das hinführte, das wissen wir.
🙁 Diese Geschichte ist nicht in der „Zeitbrücke“ abgedruckt 🙁
Wenn Sie mehr über mich, Hans Blazejewski, den Autor, lesen möchten, dann schauen Sie doch in mein neues Buch. Spannende Geschichten zwischen Damals und Heute.
Ich kenne es. Sehr zu empfehlen, z.B. zum Verschenken.
Zeitbrücke – Geschichten zwischen Damals und Heute
ISBN: 9783758373909
Paperback – 230 Seiten
Verlag: Books on Demand
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