Letzte Aktualisierung am 14. Juni 2024 by Hans Blazejewski
Im Sauseschritt in die Zukunft – oder im Gestern verharren?
Das Bild ist 2004/2005 entstanden. Jetzt kann man es fast als ein Zeitdokument ansehen. Wo gibt es heute noch solche Fortbewegungsmittel im Ermland? Sie behindern den Verkehrsfluss und werden auch nicht als Symbol für den Fortschritt angesehen Aus dem Blickwinkel eines gelegentlichen Besuchers wie mich, stelle ich fest, daß sich in den letzten 20-30 Jahren mehr verändert hat, als im gesamten Zeitraum bis hin zu etwa 1945. Alleen werden abgeholzt, Straßen verbreitert, damit mehr Autos in noch kürzerer Zeit von einem Punkt zum anderen gelangen können.
Die sozialen und familiären Strukturen in den Dörfern minimalisieren sich oder zerfallen. Die Jungen gehen fort. Gehen nach England, Holland oder dorthin wo sie glauben, sich ein besseres Leben einrichten zu können. Übrigens, das haben Sie schon immer so getan, wenn sie durften, auch zu Deutschzeiten. Ostflucht wurde das genannt. Die Menschen, die nannte man Auswanderer damals. Nach Amerika, weil dort angeblich alles besser war, ins Ruhrgebiet, weil es beim Kohleschürfen gute Kohle gab. Zurückgelassen die Alten. Vielleicht auch noch einige Zeit die Enkel, solange bis deren Eltern sich irgendwo in der Gegend in der sie für sich das Paradies verortet hatten, etablieren konnten. Und wer kümmert sich um die Zurückgebliebenen, die Alten?
Erwähnen muß man diesem Zusammenhang, obwohl das Drama von ganz anderen Regisseuren initiiert worden ist, auch die Aussiedler, die nach 1945 „Heim ins Reich“ machten.
Die Reichen werden immer reicher. „Die Warschauer“ kaufen alles auf“. Das ganze Ufer um den Dadaj-See sei in deren Hand. Ackerflächen würden sie kaufen und nicht bewirtschaften. Für die Brachen würden Sie Stillegungs-Prämien von der EU kassieren. Im Spirdingsee gäbe es eine Insel, die hätten Reiche Ärzte aus den US gekauft. Gerüchte. Gerüchte. Aber wenn das Volk so denkt, dann stimmt was nicht in deren Wahrnehmung oder in der Realität.
Nostalgie oder von gestern?
Ich liebe diese dörflichen Strukturen im Ermland. Es kommt mir so vor, als habe Jeder Zeit für jeden. Man muß sich nicht anmelden, will man auf Besuch gehen. Die Kinder spielen auf der Straße. Mitten mang die Hundchen. Die Alten sitzen in der geöffneten Haustür oder unterm Vordach und wenn man vorbeifährt, dann winken und grüßen sie. Kaum angehalten so fragen sie: Chcesz kawę, willst Kaffee?
Heute muß es schnell gehen, denn Zeit ist Geld und wer so seinen Geschäften nachgeht, wie auf dem obigen Bild, der ist dem Fortschritt im Wege. Alles muß fließen. Immer schneller. Bloß nicht anhalten. Wer das Sein bewußt genießt und das so lebt, der ist suspekt. Der ist ein ewig Gestriger. Der hat die Zeit nicht verstanden. Zum Beispiel gibt es in meiner Familie keinen Fernseher. Also kann mein Sohn auch nicht mitreden, wenn in seiner Klasse über was weiß ich gesprochen wird. Und wenn wir Eltern denn mal irgendwo erwähnen, daß wir kein TV haben, ernten wir ungläubige bis mitleidige Blicke.
Sehen Sie hier was die Zeit, oder ist es der Zeitgeist, so alles anstellt. Zwei Fotos vom gleichen Ort, nämlich Zalesi bei Barczewo. In 2005 eine Idylle mit Zugang über eine zu kaufende Eintrittskarte. In 2012 eine Ruine. Mag sein, daß der Verfall in Zalesie triftige Gründe hat, die beiden Bilder sollen daher auch nur als Illustration zu meinen oben ausgeführten Gedanken herhalten. Eins, zwei, drei im Sauseschritt in die Zukunft? Wenn Zukunft sich so darstellt wie auf dem 2012er Zalesie-Bild, dann will ich lieber von gestern sein
Lesen Sie mehr über „mein“ Ermland, zum Beispiel:
Über meine erste Reise in das Land meiner Vorfahren
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