Letzte Aktualisierung am 10. August 2024 by Hans Blazejewski
Silvester: Brauchtum, wie das „früher“ so war
Silvester, Brauchtum und Aberglauben? Wir nicht. Wir sind nicht abergläubig. Wir sind aufgeklärt und glauben nicht an solchen Quatsch. Und dann ertappen wir uns (heimlich, versteht sich) dabei, dass wir dreimal auf den Tisch klopfen und »Toi, toi, toi« rufen. Oder wir spucken dreimal hinter uns auf die Erde, weil das angeblich Glück bringt. Eine schwarze Katze läuft uns über den Weg und dann noch am Freitag, den dreizehnten. Nu, was denken wir? Genau!
Ich könnte mir die Finger wundschreiben über den Aberglauben, sanktioniert durch die katholische Kirche. Hier einige Schlagworte:
Kerzenweihe, Weihwasserweihe, (lesen Sie meine Weihwasser-Satire und Sie lachen sich schlapp). Exorzismus, Hexenverbrennung, Dreikönigssegen.
Googeln Sie und entdecken Sie den religiösen Aberglauben. Sie fallen um oder werden ungläubig, wenn Sie es nicht schon sind.
Was so alles gesegnet wurde? Zu Lichtmess wurden Kerzen geweiht. Es wurden am Tage Mariä Himmelfahrt Kräuter geweiht, ebenso die Kreide, mit der man auf den Türbalken C+M+B plus Jahreszahl schrieb. Zu Ostern gab es dann geweihte Holzkohle, mit der diese Zeichen schwarz überschrieben wurden. Am Tag der heiligen Agatha segneten sie das sogenannten Agathabrot oder Ende März das Vieh, wenn es nach den langen Wintern wieder auf die Weide gelassen wurde.
Zu der im Ermland beliebten Agathabrotweihe muss ich jetzt unbedingt einige Zeilen aus meinem Ermland-Blues einfügen:
Was es mit diesem Brot für eine Bewandtnis hatte? Nach altem Glauben wurde am Fest der heiligen Agatha, am fünften Februar, von den ermländischen Pfarrern das sogenannte Agathabrot geweiht, welches die Frauen mit in die Kirche brachten.
Dieses geweihte Brot legte man zu Hause auf den Schrank, den Söller oder an einen anderen mäusesicheren Ort. Brach Feuer aus, so warf man schnell ein Stückchen dieses geweihten Brotes in die Flammen, und zwar immer aus der Richtung, in die das Feuer abziehen sollte. Lief man zum Beispiel in Richtung Acker, zog das Feuer nach. Wie man sagte, habe das so manches Mal geholfen, einen Brand einzudämmen oder gar zu löschen.
(…)
Lesen wir, was die Ermländische Zeitung 1927 über Ermlands Silvester-Brauchtum zu berichten weiß
Sehr mannigfaltig waren in früheren Jahrhunderten die Silvester Bräuche, deren sich abergläubische Gemüter in der Silvesternacht unterwarfen, um im neuen Jahre eine gewisse Anwartschaft auf Glück, Liebe, Reichtum oder Gesundheit zu besitzen.
In Ostpreußen stand beispielsweise mancher Bauer mit seiner Sippe, eine brennende Kerze in der Hand,in dunkler Stube vor einem Spiegel. Alle starrten schweigend in das mattschimmernde Glas und wähnten darin ihre Zukunft zu erblicken.
Im Posenschen zeigte dieser Spiegel nach uralter Überlieferung den Doppelgänger, das geheimnisvolle „zweite Ich“ des Hineinblickenden.
Ob von hier gewisse Fäden zu den westfälischen „Spökenkieken hinüberliefen, ist nicht völlig von der Hand zu weisen.
In der Uckermark trat an Stelle des seltsamen Spiegels ein blank gescheuerter Kessel. Junge Mädchen drehten ihn eifrig in der letzten Nacht des Jahres, hoffend, das Antlitz ihres künftigen Liebsten daraus zu erkennen.
Im Samland wie auch im Ermland war einst die Jagd auf den sog. „Rosbock“ oder „Rasumuck“ (polnisch: rosomaka = Vielfraß) von Silvester bis Neujahr sehr beliebt.
Irgend ein braver Tölpel mußte sich mit einem Sack unter die Fenster eines Hauses stellen, in dem angeblich ein Rosbock gefangen gehalten wurde. Dem draußen im Dunkeln Wartenden sollte der Bock zugeworfen werden, statt dessen wurde dem Ahnhungslosen jedoch eine Schüssel Wasser über den Kopf gegossen.
Später wandelte sich der Rosbock wohl in unser heutiges „Glücksschwein“, dem ja ebenfalls in besonderem Maße der Name „Vielfraß“ gebührt
Abschrift aus: Ermländische Zeitung Nr. 301 v. 30.12.1927 (Original-Rechtschreibung unverändert)
Haben Sie ein Faible für das Ermland und dessen Bewohner?
Dann habe ich diesen Hinweis für Sie:
Ulrich Tolksdorf: Ermländische Protokolle – Alltagserzählungen in Mundart – Elwert Verlag Marburg 1991 - ISBN 3-7708-0974-2
Das Buch taucht manchmal in den Angeboten der Antiquariate auf.
Die Martin-Opitz-Bibliothek hat es im Bestand. Es kann dort ausgeliehen werden.
Worum es da geht? Es werden mundartliche Erinnerungsberichte, die in Tonbandaufzeichnungen dokumentiert, dem Leser nahegebracht. Entstanden sind sie um 1960 in Gesprächen und Interviews mit den ehemaligen Bewohnern des Ermlandes, die 1950 im sogenannten „Siedlungsgebiet Ahrbrück“ auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz angesiedelt wurden. In der Bevölkerung sprach man eher vom „Klein-Ermland“. Erwähnen muss ich hier, dass all diese Ermländer aus Ihrer Heimat geflüchtet sind. Wie man so sagt: „Sie kamen mit dem letzten Hemd“.
Alle 84 Erzähler und Erzählerinnen wurden zwischen 1882 und 1928 geboren und kamen aus einem ländlichen und handwerklich bestimmten Milieu, wie es für das Ermland bis 1945 charakteristisch war. Zu einer Zeit also, als Sitten und Bräuche noch gelebt wurden, weitergegeben wurden von einer Generation zur nächsten. Unter anderem wird auch in den „Protokollen“ von dem in der Ermländischen Zeitung erwähnten Silvester Brauchtum berichtet:
Denn wurd Rosemocke gejoagd
Ulrich Tolksdorf: Ermländische Protokolle – Alltagserzählungen in Mundart – Interview mit Alfons Sahm – Seite 310
(…) Oaba de woar nu bai ons, on Silvester hadd wea nu ooch jepunscht, ze Silvester wurd nich Schnaps on Bier jetrunke, sondern hauptsächlich Punsch, Silvesterpunsch. Na, nu hadd wea das hier ooch jemacht, on denn vazählt wea dem ooch,was wea ze Haus aller machte on denn ooch vom Rosemocke joage. On doo soagt a: „Herr Sahm, das mecht ich ja auch gern wissen und lernen!“ Ech soag: „Na Karl, das es nich so ainfach, de Beesta doo vom Schoppe runter ze kriege!“
(…)
On doa schett ech em de Eimer Wasser ieba de Kopp. „Bruuu“, soagt er, „ach so war es das!“
Haha, on denn hoa wea nachdem so herzlich jelacht. Me hoabe se so ooch das Rosemocke joage baijebracht.
Mein schon mehrmals erwähntes ermländisches Omchen. Schwer katholisch, auch sie fröhnte zuweilen dem Aberglauben, wie: Schwarze Katze übern Weg bringt Unglück – Feuerwerk macht Krach, Krach vertreibt die bösen Geister und solche Sprüche. Sie wusste auch:
Wenn einer schmutzige Wäsche hat, dann sollte diese nicht zwischen Weihnachten und Drei Könige gewaschen und schon gar nicht aufgehängt werden. Mit dem Zusatz: Nicht nur nicht öffentlich sichtbar, sondern auch nicht heimlich im Keller. Warum? Geister mögen das nicht, sie könnten sich in der Wäsche verfangen. In die Stiefel pinkeln, diesen anrüchigen Brauch erwähnte ich schon an anderer Stelle.
Mehr zum Ermland und nicht nur zum Silvester Aberglauben
- Luftwaffenübungsplatz Ahrbrück
- https://www.petra-schier.de/2021/03/04/hier-lebe-ich/
Petra Schier erzählt über die Anfänge und ein bißchen mehr über das Siedlungsgebiet, in dem sie lebt. Eine historische Fundgrube: Ermlandgemeinschaft Heckenbach - Das Rosbock-Jagen. Ein Sylvesterbrauch im OberlandeTreichel, A. W. in „Am UR-Quell“ Monatsschrift für Volkkunde Bd 4 1893 Herausgeber Friedrich S. Krauss Seite 110 ff
- Ostern: vom Rasemuckenjagen
- Dr. M.Toeppen: Aberglauben in Masuren – Bertling, Danzig 1867
- H. Frischbier: Preußisches Wörterbuch, 2 Bd -Enslin, Bln 1882/83
- H. Frischbier: Hexenspruch und Zauberbann – Enslin, Bln 1870
🙂
Mein Lesetipp:
Ermland, ein Besuch – Unvergessliche Eindrücke aus dem Land meiner Ahnen
Eine Ermländische Hochzeit – Wie sie beinahe nicht stattfand
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