Steckbrief: Gesucht wird Wojciech Kętrzyński

Letzte Aktualisierung am 11. Juni 2024 by Hans Blazejewski

Steckbrief von Wojciech Ketrzynski alias Adalbert von Winkler

Fahndung im Allensteiner Kreisblatt

Das Allensteiner Kreisblatt soll hier erwähnt werden. Ein wichtiges Mitteilungsblatt der damaligen Obrigkeiten an ihre Untertanen, in dem u. a. auch Steckbriefe veröffentlicht wurden.

Zur Erinnerung: Catharina, die Protagonistin, in meinem Roman Ermland-Blues, sie ist 1848 geboren. Sie lebte wohl in einer – aus unserem heutigen Blickwinkel – aufregenden Zeit. Achtzehn Jahre alt war sie, als im Allensteiner Kreisblatt von 1863 nachfolgender Steckbrief veröffentlicht wurde. Ich denke, sie wird ihn nicht gelesen haben. Catharina hatte einen ganz anderen persönlichen Aufstand zu führen. Ihren Aufstand gegen eine pervertierte katholische Moral, die zum Beispiel uneheliche Kinder als Hurenkinder in den Kirchenbüchern führte. Die Mütter mit: Scortum, eine Hure, Dirne, Prostituierte stigmatisierte und die Erzeuger als Scortator beschrieb.
Wie Sie im Ermland-Blues nachlesen können, hatte Catharina ihren Aufstand gewonnen. Ihr Motto war:

„Mein Johannchen soll einen Vater haben. Mein Johannchen soll nicht irgendeinen
Vater haben. Mein Johannchen soll seinen Vater haben.“

Eine Frau, die zu kämpfen weiß

Was für eine Frau. Bestimmt kein Mauerblümchen, sondern eine, die gesellschaftliche Konventionen bekämpft und überwunden hat. Stimmt, die alte Babka hat ihr beigestanden. Aber auch die Babka war ja eine, die in kein Schema passte, schon gar nicht in eines, das von der Obrigkeit vorgegeben wurde. Dieser Obrigkeit, der es gefallen hatte, die Kräuterfrauen, die nicht nur Warzen besprachen sondern auch vielfach Geburtshilfe leisteten, zu verfolgen. Den Frauen wurde, bei Strafandrohung, mit der Einweisung in die Korrektionsanstalt von Tapiau (zur sittlichen Besserung) oder in das Wartenburger Zuchthaus gedroht, würden sie weiterhin ihr Wissen ausüben.


Klosowski, der damalige Neu Mertinsdorfer Dorfschulze wird den Steckbrief im Allensteiner Kreisblatt mit Sicherheit gelesen haben, denn diese Kreisblätter waren in erster Linie das Sprachrohr des Allensteiner Landrates, waren ein Verfügungs-, Anordnungs-, Bekanntmachungs- und Kommunikationsblatt zwischen der Obrigkeit und seinen ausführenden Organen und in seinen öffentlichen Bekanntmachungen ein Informationsblatt für die preußischen Unterthanen. Dazu war es auch – im geringen Maße ein Anzeigenblättchen sowohl für Privatpersonen als auch für Handel und Gewerbe. Über den ZDB-Katalog können Sie den überkommenen Bestand erforschen (welche Jahrgänge, wo vorhanden usw).

Steckbrief vom 26. Sept. 1863
Die des Hochverraths verdächtigen stud. Med. Leopold von Rożycki, ohne festen Wohnsitz; und stud. Hist. Johann Albert Winkler* von Kentrzinski aus Königsberg, sollen zur Haft gebracht werden und werden daher sämttliche Polizeibehörden ersucht, auf dieselben zu vigiliren und sie im Betretungsfalle an das unterzeichnete Gericht abzuliefern.

Signalement. Rożycki ist 26 Jahre alt, katholisch, aus Zajonskowo bei Löbau gebürtig und mittlerer Größe, hat dunkelblondes Haar und einen vollen Bart und trägt eine Brille.
Kentrzinski ist 25 Jahre alt, evangelisch, aus Lötzen gebürtig, von mehr als gewöhnlicher Größe und schmächtiger Figur, hat hellblondes Haar und trägt eine Brille.
Allenstein, den 26. September 1863 – Königl. Kreis-Gericht, I. Abtheilung

Nach QMS15 – Hans Blazejewski: Im Allensteiner Kreisblatt 1845-1869 veröffentlichte Steckbriefe , Hamburg 2009

Meine polnischen Freunde werden es wissen, für die anderen aber diese Erläuterung:
*Kętrzyński, Wojciech, bis 1856 Adalbert von Winkler (* Lötzen 1838 + Lemberg 1918), Historiker und Schriftsteller; Vater Kaschube, Mutter Deutsche; 1855 bis 1859 Gymnasium in Rastenburg, danach Studium in Königsberg; 1863 Beteiligung am polnischen Aufstand, Haftzeit in der Berliner Hausvogtei und in Glatz.

Abschrift eines Artikels aus der Ermländischen Zeitung

Allenstein, 19. Oktbr.
Am 11. Sept. 1863 wurde bei Allenstein ein Transport von Waffen, welcher von den Studenten v. Ketrzyliski und v. Rożycki begleitet war, angehalten und die beiden jungen Männer verhaftet. Das Kriminalgericht zu Allenstein verfügte deren Freilassung, das ostpreußische Tribunal in Königsberg i. Pr. die Wiederverhaftung derselben, welche indeß nur in Bezug des ersteren ausgeführt werden konnte.
Der zweite Angeklagte entfloh und wurde in contumaciam zum Tode verurteilt.
Es wurde ihm nämlich ein Platz angewiesen in dem Hochverrathsprozesse gegen den Grafen von Działyński u. Gen., welcher an den Tagen des 25., 26. und 28. April 1865 vor dem Statsgerichtshofe verhandelt worden ist und u. a. auch mit der Kontumazialverurteilung des R. wegen vorbereitender Handlungen zu einem gegen den preußischen Stat gerichteten hochverrätherischen Unternehmen zum Tode endigte.
Am 16. d. M. trat der Senat dieses Statsgerichtshofes zu einer Sitzung zusammen. Es handelte sich, trotz der auch auf den Angeklagten sich beziehenden Amnestie vom Jahre 1866, um die Erfüllung einer Förmlichkeit, der Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den jetzigen Dr. med. Rożycki, der im vorigen Jahre aus Klein-Asien nach Preußen zurückgekehrt ist und sich dem Gerichtshof gestellt hat.
Die allgemeine Anklage betrifft den polnischen Aufstand aus dem Jahre 1863, von welchem angenommen wurde, daß er ebenfalls gegen Preußen gerichtet war.

Freispruch für den Angeklagten


Nach Feststellung der Personalien des Angeklagten wurde zur Verlesung der ungeheuer langen Anklageschrift geschritten. Als Vertheidiger war dem im Jahre 1837 im Löbauer Kreise geborenen Angeklagten der Rechtsanwalt Holthoff gestellt. Der Angeklagte räumt den tatsächlichen Theil der Anklage ein, bestreitet aber, daß sich seine Thätigkeit gegen den Bestand des preußischen Staates gerichtet habe. Die Verhandlung bietet kein besonderes Interesse, da die Frage, ob der Aufstand von 1863 ausschließlich gegen Rußland oder auch gegen Preußen gerichtet war, von dem Gerichtshof bereits entschieden worden ist. Dre Staatsanwalt beantragte sechs Monate Festungshaft. Der Staatsgerichtshof erkannte auf Freispruch des Angeklagten, da er nicht für erwiesen erachten kann, daß demselben klar bewußt gewesen sei, daß der Polenaufstand aus dem Jahre 1863 gleichfalls die Losreißung der polnischen Provinzen von dem preußischen State bezweckt habe.

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